Den Energiesektor demokratisieren, indem man den Bürger wieder in den Mittelpunkt stellt
Auch die Bürger können sich an der Energiewende beteiligen und so zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen. Ihre Mitgliedschaft in lokalen Bürgerinitiativen zur Erzeugung erneuerbarer Energien trägt dazu bei. Als Sahnehäubchen können sogar ihre Energierechnungen auf diese Weise gesenkt werden.
Laut Mario Heukemes, Vorstandsvorsitzender von Cociter (Comptoir citoyen des énergies), ist diese 2012 gegründete Genossenschaft zur Versorgung mit erneuerbarem Strom etwas untypisch: „Sie nutzt die durch die Notwendigkeit einer Energiewende gebotene Gelegenheit, den Energiesektor zu demokratisieren, indem sie die Bürger wieder in den Mittelpunkt stellt. Wie der Krieg in der Ukraine im letzten Jahr gezeigt hat, ist die Energieerzeugung auch ein äußerst strategischer Sektor. Daher ist es notwendig, dass die Energieressourcen in Europa und Belgien unter anderem in Bürgerhand sind.“
Fabienne Marchal, geschäftsführende Direktorin, stimmt dem zu: „Das seit langem vorherrschende Wirtschaftsmodell mit der dominierenden Rolle großer Industriekonzerne bei den Produktionsmitteln für fossile und spaltbare Energieträger hat die Menschheit an einen Punkt des Zusammenbruchs geführt. Jedes Jahr tritt der Zeitpunkt, an dem wir Ressourcen über die Kapazitäten des Planeten hinaus verbrauchen, um sie zu erneuern, immer früher ein.“
Die Spielregeln ändern
Natürlich sind die großen industriellen Akteure nicht zum Verschwinden verurteilt. Die Entwicklung einer lokalen Produktion erneuerbarer Energien ist jedoch ein unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende. „Das Genossenschaftsmodell, das auf einem ständigen Dialog beruht, ermöglicht eine transparente Verwaltung der Produktionsanlagen“, meint Mario Heukemes. „Die Infrastrukturen, ob Windkraft, Photovoltaik, Biomethanisierung oder Wasserkraft, sind keine Kleinstanlagen, sondern Anlagen von industrieller Größe, die jeweils Millionen von Euro an Investitionen erfordern. Im Rahmen von Genossenschaften werden diese Investitionen durch direkte Beiträge von Privatpersonen getätigt. Jeder Haushalt leistet in der Regel einen Beitrag von 1.000 bis 3.000 Euro.
In der Wallonie gibt es 19 Bürgergenossenschaften zur Erzeugung erneuerbarer Energien sowie den Versorger Cociter, die im Verband REScoop zusammengeschlossen sind, zu dessen Verwaltungsratsmitgliedern unsere beiden Gesprächspartner gehören. „Die Funktionsregeln variieren ein wenig von einer Genossenschaft zur anderen, aber die großen Prinzipien bleiben gleich“, erklärt Fabienne Marchal. „Sie ermöglichen einen gewissen wirtschaftlichen Wandel in der Beziehung zwischen Verbrauchern und Erzeugern. Ihre Unternehmensführung ist völlig unabhängig von den großen Marktakteuren und die Entscheidungen werden lokal getroffen.“
Am 31. Dezember letzten Jahres zählten diese Produktionsgenossenschaften zusammen genau 18.679 Mitglieder und 44 Anlagen mit einem Gesamtkapital von über 27,6 Millionen Euro. Cociter hat rund 12.000 Kunden und erwirtschaftete im vergangenen Jahr einen Umsatz von 21,7 Millionen Euro.
Vielfältige Vorteile für die Bürger
Die Einnahmen aus dieser Energieproduktion werden größtenteils für die Wartung der Werkzeuge, die Einstellung lokaler Mitarbeiter und den Ausbau der Produktionskapazitäten verwendet. Darüber hinaus können die Gewinne in Bürgerprojekte mit gesellschaftlicher Ausrichtung investiert werden.
„Für Privatanleger ergeben sich zwei wirtschaftliche Vorteile“, fügt Fabienne Marchal hinzu. „Einerseits können sie Dividenden aus dem Betrieb der Infrastrukturen erhalten, die ihnen als Miteigentümer gehören. Diese belaufen sich auf 3 bis 6 % des investierten Betrags pro Jahr. Andererseits können sie ihren Strom von Cociter zu einem im Vergleich zu den Marktbedingungen günstigen Preis beziehen.“
Und natürlich beteiligt sich auch der Bürger an der Energiewende, indem er in erneuerbare Energien investiert.