Von der Energiewende zur Energiedemokratie

COCITER – garantiert 100% grüner Strom aus Bürgerhand

Die Zeitschrift Valériane, die von der Vereinigung „Nature et Progrès Belgique“ veröffentlicht wird, hat in der Ausgabe Juli-August ein Interview von Mario Heukemes zu COCITER veröffentlicht.

Wir haben dieses Interview für Sie ins Deutsche übersetzt.

 

Von der Energiewende zur Energiedemokratie Garantiert 100% grüner Strom aus Bürgerhand?

Gegenwärtig ist nur eine Kooperative in der Lage Ihnen diese Garantie zu geben. Die Kooperative nennt sich COCITER und verfolgt das Ziel die Energiewirtschaft zu demokratisieren, damit diese wirklich im Dienst der Mitglieder steht.

Um mehr darüber zu erfahren, haben wir Mario Heukemes getroffen, eine treibende Kraft in der Kooperative ….

„Es handelt sich um einen wichtigen Aspekt im ökologischen Wandel“, nimmt Mario Heukemes vorweg: „Angesichts des Ende des günstigen Stroms, leisten wir den Wünschen der Bürger Folge, sich eine umweltfreundlichere Stromproduktion anzueignen. Die Kooperativen, die uns aktuell beitreten, sind vor allem auf die Windkraft fokussiert. Dennoch, mehr als 9 von 10 wallonischen Windrädern befinden sich in den Händen von Multinationalen, meistens mit ausländischen Kapital- und Entscheidungszentren. Es ist also normal, dass der Bürger sich zu einem gegebenen Zeitpunkt die Produktionsmittel aneignen möchte, aus Gründen der Transparenz und der Demokratie. In der Vergangenheit waren die Kooperativen, die uns beigetreten sind, immer im Windsektor aktiv, aber ihre Diversifizierung hin zu anderen Energien steht in den Startlöchern; wir sind schon ein wenig im Fotovoltaik aktiv, andere arbeiten mit an der Instandsetzung von Wasserturbinen, usw.
Es hängt immer von den Gegebenheiten des Terrains ab, jede Kooperative ist frei sich Möglichkeiten zu suchen, lokal Zusammenarbeiten zu finden…“

COCITER: eine neue Etappe

Nachdem die Mitglieder der Genossenschaften gemeinsam in eine Produktionsmöglichkeit investiert, grünen Strom produziert und einen Teil der Gewinne zwischen ihnen aufgeteilt hatten, stellte sich ihnen eine andere Frage. Wie konnte dieser Strom, der in das Netz eingespeist wurde, auch von ihnen genutzt werden?
„Zu diesem Zeitpunkt, in den Jahren 2011-2012“, erklärt Mario Heukemes, „war keine Kooperative groß genug, sich die Kompetenzen – und vor allem Informatikmittel –  anzueignen, die für die Stromlieferung benötigt wurden. COCITER wurde gegründet und gehörte somit mehreren Kooperativen, die sich zusammengeschlossen hatten. Jede einzelne hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die Struktur investiert. Eine Charta definiert aber, dass jede Kooperative gleich viele Anteile an COCITER besitzen wird, wenn sie sich entwickelt hat, um somit eine gerechte Verteilung der Rechte in der Struktur zu gewährleisten. Alle Mitglieder der angeschlossenen Kooperativen sind daher Miteigentümer ihres Stromlieferanten.

Wir garantieren ebenfalls, dass der grüne Strom, den wir ihnen verkaufen, komplett in der Wallonie produziert worden ist! Es handelt sich also um einen kurzen Energieweg, ein wahrer Kreislauf.“

Um bei COCITER die interessantesten Tarife zu erhalten, wird dem Kunde nahegelegt, Mitglied einer dieser angeschlossenen Kooperativen zu werden. Diese Investition wird weiter in die Produktionsmittel angelegt. Somit wird garantiert, dass der gelieferte Strom auch dank des Kunden produziert wurde. Ebenfalls ermöglicht es, dass, wenn sich die Bewegung weiter entwickelt, neue lokale Produktionseinheiten gebaut werden, die es erlauben aus der Kernenergie auszusteigen. Die aktuellen Probleme vieler Lieferanten bestehen nämlich vor allem darin, dass der grüne Strom, den sie verkaufen, im Ausland produziert wird…

„Wenn wir ausschließlich auf diese (ausländische) Energie setzen“, sagt Mario Heukemes, „dann müssen wir früher oder später ein neues Kraftwerk bauen, ein Kernkraft-, Kohle- oder Gaskraftwerk, weil die lokale grüne Energie nicht mehr ausreicht. Wir müssen den wallonischen Bürgern also garantieren, dass sie in die Energiewende investieren und sich engagieren können. Wir kämpfen dafür, dass es eine Bürgerbeteiligung in jedem Windpark gibt.“

Ein Service für die Mitglieder

„Wir wollen zuerst unseren Mitgliedern einen Service anbieten“, präzisiert Mario Heukemes. „Unser Ziel ist es nicht einen großen Gewinn zu erzielen. Wenn doch Gewinne abfallen, werden diese komplett an die angeschlossenen Kooperativen zu Gunsten ihrer Mitglieder verteilt. Neben diesem Service ist es für uns wichtig, dass der Bürger Kompetenzen erlangt, die bislang in den Händen großer Unternehmen lagen. Denn die vorherigen, staatlichen Monopole sind Sache der Multinationalen geblieben. Diese Kompetenzen und die Erfahrung ermöglichen es uns, von den Entscheidungsträgern angehört zu werden: Wenn der Bürger nur Konsument ist, wird er auch nur als dieser angehört und seine Meinung direkt in die Schublade „Verbrauchermeinung“ geschoben, nicht zu den Meinungen der Fachleute. Wir möchten unsere Meinung einerseits als Konsument äußern und andererseits als private Fachleute, deren Meinung nicht von der Schwer- oder Kernenergie beeinflusst wurde.
„Unsere Gemeinden haben schnell verstanden, dass die Energie ein strategischer Sektor ist und wie wichtig er in der lokalen und ländlichen Entwicklung ist. Alles befindet sich in den Händen der Multinationalen, für die die Anliegen der Bürger nicht im Vordergrund stehen. Wir schlagen also vor einige Jahre zurückzukehren. Wir erfinden nix neues, wir versuchen nur uns anzueignen, was wir einst verloren haben. Die Bürgerkooperativen definieren sich als Aktionsgruppen, hauptsächlich lokal, die sich an die Personen in der Nähe richten. Das mobilisiert die Leute heutzutage. Das ist der Schlüssel für den Übergang zu einer „Gesellschaft nach dem Erdöl“.

Fundamentale Werte, solide Wirtschaft

Man kann die Energie mit der Nahrung vergleichen, es betrifft unsere fundamentalen Werte: Erhalt der Umwelt, demokratische Entscheidungsprozesse, Aneignung der öffentlichen Güter, ökologischer Wandel, Widerstandsfähigkeit, Sachlichkeit, …
„Die Kooperative trägt einen Beitrag zur Förderung des Verantwortungsbewusstseins der Konsumenten bei, die ebenfalls Mitglieder sind“, sagt Mario Heukemes. „Im Moment – wir haben vor einem Jahr begonnen und haben rund 500 Kunden – versuchen wir anhand des Preises zu überzeugen. Der Preis muss konkurrenzfähig sein, er sollte sogar tiefer liegen, als der der bekanntesten Konkurrenten. Umso attraktiver der Preis ist, umso mehr Personen können wir überzeugen an einem Wettbewerb teilzunehmen, in dem die Philosophie überwiegt. Ich bin ebenfalls Verwalter einer der Kooperativen mit sozialer Zielsetzung, die COCITER angeschlossen ist: Courant d’Air. Durch diese Kooperative und die verschiedenen Mittel, ist es mir wichtig die Leute auf die nachhaltige Entwicklung aufmerksam zu machen. Ein Teil der Gewinne dieser Kooperative mit sozialer Zielsetzung wird wieder dem Kapital zugeschrieben – weil die Risikonahme ausgeglichen werden muss -, aber der Rest wird verwendet, damit unsere Struktur erhalten bleibt, als Dienst an die Allgemeinheit und um die Idee der Wende im Allgemeinen zu fördern.“

Im Augenblick übernimmt COCITER im Strombereich Produktion und Lieferung, die Verteilung und der Transport bleiben die Aufgaben von ORES und Elia… Was die Lieferung angeht, gibt es ebenfalls einen Teil, den COCITER nicht selber übernehmen kann: das ist was man das Balancing nennt, das Ausgleichen des Netzes.

„Wir müssen das noch an ein Subunternehmen abgeben“, erklärt Mario Heukemes, „aber wir arbeiten uns auch da langsam ein. Die Transportkosten sind in jeder Gemeinde unterschiedlich, sind aber bei jedem Lieferanten dieselben. Die Preisunterschiede bei den Lieferanten liegen also vor allem bei den Abonnements (der Service an sich, der die Entlohnung des Personals beinhaltet), die Energie selber (die Produktionskosten, um die unregelmäßige Energie auszugleichen und die Balancing-Kosten) und der Anteil der grünen Zertifikate, die wir bei der Kooperative kaufen, die produziert. Diese 3 Faktoren, die wir beeinflussen können, repräsentieren zwischen 35 und 40% der gesamten Rechnung. Der Rest der Rechnung hängt vom Netz, den Steuern, … ab. Jemand der 4000 kWh verbraucht – 2000 Tag und 2000 Nacht – erhält eine Rechnung von ungefähr 1050€ bei den klassischen Lieferanten. Durch uns kann diese Person bis zu 60€ sparen. Also 60€ auf einem Drittel der Gesamtkosten – 60 von 350 -, was 15 bis 16% Ersparnis darstellt. Das ist enorm!“

Aufhören die Probleme auf zukünftige Generationen zu vertagen

Im Moment ist COCITER fähig bis zu 12 000 Haushalte zu beliefern, und bald bis zu 14 000. Die Kooperative beliefert jedoch bis jetzt nur … 500 Kunden. Die Bewegung kann also noch ausgebaut werden.

„Wir versuchen mit befreundeten Netzwerken, ähnlichen Bürgerbewegungen, zu arbeiten“, führt Mario Heukemes fort.
„Vor allem ist es für uns wichtiger die Philosophie der Kooperative zu erklären, als eine sprunghafte Kundschaft anzuziehen, die nur wegen dem Preis und nicht wegen dem Grundgedanken wechseln. Es ist eine langsame Entwicklung, dafür aber eine dauerhafte… Die Konkurrenz besteht unserer Meinung nach darin, dass große Multinationale so genanntes Citizen Washing machen, indem sie angeben, die Bürgerbeteiligung durch ihre eigenen Kooperativen zu stellen. Und das, obwohl sie überhaupt nicht unabhängig sind und nur eine Beteiligungsrate von … 2 – 3 Kilometer um das Projekt haben. Die Beteiligung repräsentiert somit nur ein Fünfzigstel eines Windrades. Für uns besteht die größte Gefahr in der Kernenergie, d.h. die Nachttarife, mit denen wir nicht konkurrieren können, auch wenn wir bei einem durchschnittlichen Tag/Nachtverbrauch billiger sein können… Nach der Ankündigung, dass die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert wurde, ist der Strompreis um 32% gesunken! Das bedeutete große Einkommensverluste für die kleinen Produzenten. Es ist wie bei der Milch: ein kleiner Landwirt muss unter den gleichen Bedingungen wie eine industrielle Landwirtschaft arbeiten. Man könnte meinen, dass es für den Kunden gut ist, aber das gibt die Wirklichkeit nicht wieder. Es ist nicht dauerhaft, nachhaltig. Unsere Aktion zeigt, dass der Konsument nicht unbedingt mehr zahlen muss, sich aber mit der Zeit damit abfinden sollte, die wirklichen Kosten der Energie zu bezahlen. Gleichzeitig soll dann der Verbrauch gesenkt werden. Das Leitmotiv von COCITER ist eine grüne Energie, die uns gehört und deren Preis transparent ist. Ebenso möchten wir den Kunden helfen, ihren Verbrauch zu senken. Wir können den Strompreis nicht mehr drücken, weil die Kosten für den Strom, genau wie bei der Milch, nicht komprimiert werden können…“

Strom im Überdruss und zum tiefsten Preis, bedeutet nur die Kernenergie noch mehr zu fördern. Aber wir wissen umso länger es noch dauert, umso gefährlicher ist es.

Milch im Überdruss und zum tiefsten Preis, bedeutet die Nahrungsindustrie noch mehr unter Druck zu setzen. Umso länger es dauert, wird unsere Umwelt umso mehr zerstört.

Wir müssen somit aufhören achtlos zu konsumieren und die Probleme auf die zukünftigen Generationen zu schieben.

COCITER (le Comptoir Citoyen des Energies)
www.cociter.be – ist eine wallonische Kooperative, die aktuell 8 lokale Kooperativen vereint:

  • Clef scrl, in Leuze-en-Hainaut, Frasnes-lez-Anvaing, Nivelles und in der Provinz Hainaut – www.clef-scrl.be
  • Courant d’Air scrl-fs, in Weismes, und der deutschsprachigen Gemeinschaft und in der Provinz Lüttich – www.courantdair.be
  • Ferréole scrl, in Ferrières, Aywaille, Durbuy, in der Provinz Lüttich und im Norden der Provinz Luxemburg – www.ferreole.be
  • Lucéole scrl, in Habay, Fauvillers und im Süden der Provinz Luxemburg – www.luceole.be
  • Hesbénergie scrl-fs, in Arlon und im Süden der Provinz Luxemburg – www.ventsdusud.be
  • Nosse Moulin scrl-fs, in Gembloux, Eghezée, Provinz Namur und wallonisch Brabant – www.nossemoulin.org
  • Champs d’Energie scrl, in Fernelmont und in der Provinz Namur – www.champsdenergie.be